4 Teemeister – Parabeln
1
Der Tempelgong des Teemeisters dröhnte hinweg über das Festland Honshus, ein silbriger Klang, dessen Obertöne majestätisch langsam abebbten. Die letzte Schlacht war geschlagen, Hiroshitos Kopf zierte den Tornisterstab der geläuterten Heimkehrer. Ein Mann der Leibgarde, ein gewisser Takashi hatte das Leiden des großen Kaisers und Liebling aller Götter durch einen sauber geführten Schnitt abgekürzt. Nichts war passiert. Hiroshitos Haupt war die Treppen des Palasts hinuntergerollt bis in den kaiserlichen Garten. Kein Samurai hatte den Kopf begleitet.
Erst später dann nahm man den Kopf als leiblichen Überrest an sich und ein Witzbold, womöglich derselbe Takashi, pflanzte ihn auf den Tornister. Das Heer der Samurais berichtete dem Teemeister: „Er ist gestorben.“
Der Teemeister aber sprach:
„Zeigt weder Verachtung noch Bewunderung für des Kaisers Werke. Erfreuet euch daran, denn es ist dies ohne Belang für den Lauf der Gezeiten sowie für das Gleißen der Sonne am Horizont. Einzig solche Beharrlichkeit bringt Heil.“
2 (mit Anmerkung)
Manche Leute verehrt man als wahre Propheten, weil sie lehren, daß Krieg nur die Vorbereitung des Friedens sei. Obwohl dies falsch ist, denn mit dem Wort „Frieden“ ist eher die Zeit bezeichnet, in der die Kanonen nachgeladen werden, kann man die agitatorische Leistung, einmal vollbracht, nicht genug bewundern. Ideeller eingestellte Geister mag es freilich verbittern, doch sie täuschen sich darüber, den Mächtigen die Schuld an einem Krieg zu geben. Es sei dazu ein Beispiel angeführt:
Recht bald nach dem Tod Hiroshitos spaltete sich das Land in zwei Teile, in das hauptstädtische Land Kyoto und die Provinz Honshu. Der Sohn des Kaisers hatte sich während seiner kurzen Amtszeit den Ruf erworben, sehr hart gegen die Untergebenen zu sein. Da man von dem Verdacht, der Vater sei vielleicht allzu milde gewesen, gerne absah, wurde bald der Ausnahmezustand ausgerufen sowie ein Gegenkaiser bestimmt. Das Heer der Samurai, das nicht über Recht und Unrecht zu entscheiden hatte, rüstete zur Schlacht. In ihrem unentschlossenen Zustand jedoch versammelte es sich zunächst beim Teemeister, welcher versichern sollte, daß dies alles der Natur nach sei und also die Schlacht siegreich. Der Teemeister, der sich in die Lage versetzt sah, der letzte Überlebende einer anderen Zeit zu sein, redete den Samurai gut zu:
„Nehmt noch einen Schluck Tee, das wird euch sicher stärken.“
Das Heer zog aus und kehrte nach erbitterter Schlacht gegen einen übermächtigen Feind zurück. Es gab nur wenig Überlebende, die von der endgültigen Niederlage berichten konnten. Diese aber erhoben schwere Vorwürfe gegen den Teemeister: „Du hast gesagt, wir würden siegreich sein. Hättest du uns über unsere Unterlegenheit aufgeklärt, wären wir nicht losgezogen!“
Dem Teemeister fehlte jedes Verständnis für die Anschuldigung: „Ich habe euch lediglich empfohlen, noch einen Schluck Tee zu trinken.“
3
So geriet der Teemeister in die Verbannung und in lange Jahre der Wanderschaft. Die neuen Herren Japans vernachlässigten das Weltengesetz, als dessen kleinster Teil und doch die ganze Größe und Komplexität beinhaltend sich die Teezeremonie überliefert hatte. Der Teemeister hatte seine Utensilien mitgenommen in der Hoffnung, an einen Platz der Gerechten zu gelangen, zu einem friedfertigen Volk. Viele Jahre vergingen und der einstmals so Angesehene und von allen Seiten Unterstütze sank in solch bittere Armut, daß er, um zu leben, auf dem Marktplatz von Kyoto allen verbliebenen Besitz verkaufen mußte, was heißt: vier Teeschalen aus Lavagestein, einen rot-schwarzen Seidenkimono, der ihn einst kleidete- und den Bambuspinsel, mit dem man die fein zermahlenen Sencha- und Kokoicha- Blätter in das heiße Wasser hineinrührt.
Wie er so als Bettler dastand und seine Dinge feilbot, sah er im Fernen den Helden Takashi auf einem Ochsen reiten. Dieser kam heran, mit gerade jener Geschwindigkeit, die es erlaubte, das verwitterte Gesicht seines ehemaligen Lehrers zu erkennen. Takashi stutzte: „Bist du es, Teemeister?“ „Ja, ich bin’s“ erwiderte der Teemeister. „Du verkaufst das Zeremoniengeschirr“, fragte Takashi bestürzt, „sieht es so schlimm aus mit dir?“ „Was soll ich die Ordnung herstellen, wenn alles in der Ordnung ist?“ antwortete der so Verurteilte. Takashi, dem die Bitterkeit dieser Worte tief ins Herz schnitten, redete seinem Freund gut zu: „Es herrscht das Chaos und du hast noch immer viele Freunde, die dir helfen können.“ Der Teemeister wollte von einer solchen Hilfe nichts wissen. „Wie willst du mir zu meiner Aufgabe verhelfen, wenn du mein Freund bist?“, entgegnete er höchst mysteriös. „Für den Anfang gebe ich dir diesen Ochsen.“, rief Takashi begeistert und nicht ohne Eitelkeit. Er machte Anstalten, abzusatteln und sich von dem Ochsen zu verabschieden. „Wie soll dieser Ochse meinem Leben eine Aufgabe geben?“, drang der Teemeister noch einmal in Takashi, dem der Sinn der Frage noch nicht aufgegangen war. „Ganz einfach. Er wird dich daran erinnern, daß alles vorbei geht.“ Der Teemeister schüttelte lachend den Kopf: „Takashi, wenn du ein wahrer Freund bist, beantworte mir dies. Der Kopf des Ochsen geht vorbei, sein Rumpf ebenso. Doch geht auch sein Schwanz vorbei?“
Takashi dachte darüber nach, sattelte wieder auf und ritt grußlos davon.
4
Es kam die Zeit, daß der Teemeister den Feinden der neuen Herren begegnete. Noch immer herrschte großes Chaos im Land, daß sich täglich mehrte und langsam alle Bevölkerungsschichten ergriff. Die Moral der Verzweiflung machte die jungen Männer zu Ronins, schonungslosen Kriegern, die lieber sich selbst dienten als der Obrigkeit. Die Ronins plünderten und übten Rache an jenen, die das Fundament des Staates bildeten. Ihre Wut und ihr Vertrauen in die eigene Kraft verwischten die Trennlinie von Gut und Böse. Bald waren sie genauso gefürchtet wie die Steuereintreiber des jungen Kaisers.
Einer dieser Geächteten war Nagata Nkone, wobei dieser Name nicht weiter wichtig wäre, stünde er nicht im Zusammenhang mit einem entscheidenden Wandel.
Dieser Wandel vollzog sich folgendermaßen:
Fünfzehn Rebellen unter der Führung dieses Mannes ritten zum Dorf Hyakujo am Fuße des Fujijamas, als sie von einem Unwetter überrascht wurden. Sie bildeten die Vorhut einer größeren Abteilung und waren mit der Aufgabe betraut, Alarm zu schlagen, falls ihnen etwas verdächtig vorkommen sollte. Da sie es nicht besonders eilig hatten, nahmen sie für die Zeit des Gewitters Zuflucht in einer der zahlreichen Höhlen. Aus dem Inneren glomm der Schein eines Feuers, was von allen als glücklicher Zufall gepriesen ward. An ein paar brennenden Holzscheiten saß dort ein zotteliger Einsiedler, fast nackt, mit gekreuzten Beinen und gerade dabei, sich die Fußnägel abzubeißen. Als die Füße nunmehr unbeschmutzt waren, wandte sich der Einsiedler ihnen zu. Nagata und seine Leute wurden mit Tee und mit den Früchten des Waldes bewirtet. Zunächst erstaunt über Aussehen und Gebärden des alten Mannes, faßten sie bald Vertrauen. Ihr Hauptmann, den spirituellen Dingen nicht abgeneigt, fragte nach dem Zweck der Übung, worauf der Einsiedler, dessen Weg wir mitverfolgt haben, antwortete:
„Einst gab es einen großen Mann, der mich vieles lehrte- der verstorbene Teemeister des Kaisers Hiroshito. Das war ein Mann, welcher über magische Kräfte verfügte und der sie stets zum Guten einzusetzen wußte. Zwar ist mein Gedächtnis nicht mehr das Beste und ich erinnere ich mich nicht an viel, was er lehrte. Doch glaube ich, er sagte, daß es eine Übung sei, um die Fliegen zu vertreiben.“
„Und dafür diese Verrenkung?“ fragte Harada belustigt.
Der Teemeister setzte neues Wasser auf und seufzte sanft lächelnd: „Er lehrte noch andere Methoden, aber…ach, mein Gedächtnis…“.
Als fünf Stunden später 200 Ronins in einen Hinterhalt gerieten, konnte man noch immer fröhliches Gelächter aus einer der zahlreichen Höhlen am Fuße des Fujijama dringen hören.